„Wir wissen, woran wir noch arbeiten müssen“
„Wir wissen, woran wir noch arbeiten müssen“
Leistungsträger, Führungsspieler, Lautsprecher: Matthias Peßolat ist ein Spielertyp, den man immer seltener im professionellen Vereinsfussball antrifft. Er reißt mit, er hängt sich rein und wird auch mal laut. Nicht nur auf dem Platz. Selbst beim Training und auf der Bank zeigt „Peßo“ immer vollen Einsatz. In der laufenden Saison rückte der gebürtige Cottbusser immer mehr in die Rolle des „Backup“-Spielers. Wie der 33-Jährige diese neue Situation angenommen hat, wer mal in seine Fußstapfen als „Lautsprecher“ treten könnte und wie ein neuer Mitbewohner ihn erdet, darüber sprach er im Interview mit Sandra Arm.
Das Saisonfinale naht. Wie ist deine Gefühlslage vor dem letzten Saisonspiel am Samstag gegen Meuselwitz?
Es ist das letzte Heimspiel, da möchten wir uns am besten mit einem Saisonsieg von den Zuschauern verabschieden. Noch dazu haben wir den zweiten Platz erklommen, den es zu halten gilt. Ich bin guter Dinge, dass es klappt. Zumal es ganz gut bei uns läuft.
Du sagst es – die Mannschaft begeistert mit ungeahnten Sprintfähigkeiten.
Ich denke, es ist eine Frage des Fitnesszustandes – und da sind wir ordentlich dabei. Gerade in den englischen Wochen, die man in dieser Intensität noch nicht erlebt hat. In der Vorbereitung haben wir eine gute Grundlage gelegt. Das macht sich jetzt in dem einen oder anderen Spiel bemerkbar. Wie in Auerbach, als wir das Spiel noch zu unseren Gunsten drehen konnten oder gegen den BFC Dynamo.
Die Saison kann Wacker erstmals seit dem Aufstieg in die Regionalliga mit einem zweiten Platz abschließen. Ein versöhnlicher Abschluss?
Ja – ich denke schon! Wir müssen uns eingestehen, dass es für die Tabellenspitze nicht ganz gereicht hat. Der Rückstand zu Cottbus ist zu groß. Sie haben überdurchschnittlich gut gespielt und den Vorteil, dass sie schon länger zusammenspielen. Sollten wir Platz zwei erreichen, dann ist das sehr ordentlich.
Die Mannschaft hätte nicht nur in der Abschlusstabelle einen Schritt nach vorn gemacht, sondern auch in anderen Bereichen.
Man sieht es an den Gegentoren – wir haben weniger Treffer einstecken müssen als noch in der Vorsaison. Wir wissen aber auch, woran wir noch arbeiten müssen und gemeinsam werden wir das schaffen. Als Mannschaft stehen die Offensivkräfte nicht allein in der Verantwortung, auch im Defensivfeld müssen wir effektiver verteidigen und das Spiel vor das gegnerische Tor bringen. Vor uns liegt noch viel Arbeit. Sollten wir den zweiten Platz festigen, dann dann haben wir ein solides Fundament für die kommende Saison erkämpft.
Der Rückstand zum Spitzenreiter Cottbus ist riesig. Die Statistik von Nordhausen liest sich auch nicht schlecht. Bisher hat die Mannschaft in 27 Spielen „gepunktet“. Der Haken: die Statistik weist davon 13 Unentschieden aus?!
Zurückblickend hätte ich mir natürlich auch deutlichere Spielergebnisse gewünscht – das ist wirklich bitter. Dann lieber mal ein Spiel verlieren und drei gewinnen, das macht mehr Sinn als drei oder sieben Unentschieden in Folge. Wir wissen, wo unsere Baustellen liegen und daran werden wir arbeiten.
Im Trainingsplan steht zum Sonntag das Wort „Urlaub“. Nach diesen anstrengenden und kräftezehrenden englischen Wochen sicherlich ein Lichtblick?
Den Tage habe ich mir im Plan schon rot angestrichen. (lacht) Ich bin wohl nicht der Einzige, der den Urlaub herbeisehnt. Die vergangenen Wochen waren durch die Terminknappheit schon heftig. Die Belastungen im Spiel sind wesentlich höher und setzen andere Reize als im Training. Dazu kommen die Reisestrapazen, man ist viel unterwegs – das geht an die Substanz. Es gibt wohl keinen im Team, der sich nicht auf den Urlaub freut.
Ein letztes Mal muss die Mannschaft am Samstag noch auf die Zähne beißen, bevor sie sich in den wohlverdienten Urlaub verabschieden kann. Wie schaut es bei dir mit muskulären Problemen aus?
Bei mir passt alles. Ich möchte mich nicht beklagen. Zudem habe ich nicht so viel gespielt, wie manch anderer im Team. Es gibt einige Jungs, die fast in jedem Spiel in den englischen Wochen auf dem Platz standen. Denen geht es wesentlich schlechter als mir.
Verrätst du uns, wo du deinen Urlaub verbringst?
Ein paar Tage verbringen wir bei meinen Eltern. Wir sind eine Woche in Südtirol, auf dem Rückweg machen wir noch Rast im Berchtesgadener Land. Mit dabei haben wir unseren Hund, durch den wir von Strandurlaubern zu Wanderern geworden sind. Das hätte ich auch nicht für möglich gehalten, dass ich mal dahingehend einen Wandel vollziehe und Spaß daran habe.
Was ist es denn für ein Hund?
Es ist eine Hündin, heißt Maxi, ist 14 Monate alt und ein Labrador. Sie ist ein toller Hund und wir genießen die gemeinsame Zeit. Gerade, wenn ich von den Trainingseinheiten nach Hause komme, erdet die Kleine mich sehr. Es gab bisher noch keinen Tag, an dem ich es bereut habe, dass sie bei uns ist.
Du gehörst im Team zu den Führungsspielern, bist „Lautsprecher“ mit Leib und Seele und füllst diese Rolle mit viel Hingabe aus. Wie kam es dazu?
Ich habe in den vergangenen Jahren viele Erfahrungen sammeln können. Es wird immer Typen geben, die ruhiger sind und ich bin jemand, der es laut und deutlich sagt, wenn mir was auf der Zunge liegt, vielleicht auch mal sehr direkt. Es ist wichtig, dass es jemanden gibt, der auch mal unschöne Wahrheiten anspricht. Ich bin aber nicht der Einzige: Berbe (Tino Berbig), Becks (Tobias Becker), Pichi (Nils Pichinot) oder Jerome (Jerome Propheter) übernehmen diese Rolle mindestens genauso gut.
Wie kann man junge Spieler an solch eine Rolle heranführen?
Auf dem Platz ist es eher schwierig. Mit zunehmender Erfahrung kann man immer besser einschätzen beziehungsweise beurteilen, wer mal ein Leader werden könnte. Man merkt es zum Beispiel in internen Teamsitzungen, wer dort vielleicht mal den Mund aufmacht. Es ist wichtig, auch die jungen Spieler zu ermutigen: „Sag es ruhig, du bist ein Teil der Mannschaft!“
Oft trauen sich die jungen Spieler nicht?
Ja, das ist dem Alter geschuldet. Ich bin auch in die Rolle reingewachsen. Ich habe mit 20 oder 25 noch nicht so den Mund aufgemacht wie mit 28 oder mit nunmehr 33. Das ist ein Entwicklungsprozess. Ich würde mir wünschen, dass es mehr solcher Typen gibt. Das klingt jetzt vielleicht hart, aber solche Jungs mit dieser geradlinigen Art trifft man immer seltener.
Wie beurteilst du den Saisonverlauf persönlich ?
Es war anfangs nicht einfach. Ich war die vorherigen drei Jahre Stammspieler, habe die neue Rolle aber absolut akzeptiert. Es gab ganz offene Gespräche mit dem Trainer, dass ich zukünftig eine Art „Backup“-Funktion übernehme. Die Situation ist mir nicht unbekannt. In Chemnitz war ich ebenfalls Stammspieler, bis der damalige Trainer Gerd Schädlich auf einen anderen Spieler gebaut hat. Ich habe mich mit der Situation bei Wacker abgefunden, ohne leistungsmäßig nachzulassen. Sobald ich auf dem Platz stehe, haue ich alles raus, was im Tank ist. Ich denke, dass habe ich größtenteils ganz ordentlich ausgefüllt.
Du bleibst ein Wackerer und hast jüngst deinen Vertrag um ein Jahr verlängert.
Worüber ich mich außerordentlich freue und den Verantwortlichen sehr dankbar bin. Ich freue mich auf die nächste Saison, in der wir versuchen werden, ganz oben anzugreifen. Es gibt nichts Schöneres als aufzusteigen. Außerdem bin ich gespannt, wer unser Team verstärken wird.
Wie realistisch ist das Ziel: Aufstieg 3. Liga?
Von den Rahmenbedingungen sind wir nicht Drittliga-tauglich. Daraus kann man keinen Hehl machen, aber das wissen auch die Verantwortlichen hier. Dennoch setzen sie alle Hebel in Bewegung, dass es irgendwann mal so sein wird. Selbst wenn wir das „große Ding“ schaffen sollten, wird es Lösungsmöglichkeiten geben. Hier läuft keiner blauäugig umher und träumt vom Aufstieg, ohne einen „Plan B“ in der Tasche zu haben. Ich habe vollstes Vertrauen in die Verantwortlichen.
Nach der Saison heißt es noch Daumendrücken für Cottbus.
Ja, definitiv. Sie haben das beste Los für die Relegation bekommen. Am Ende entscheidet in der Relegation die Tagesform. Nichts desto trotz glaube ich, dass Cottbus es machen wird. Dafür waren sie in der Saison einfach zu konstant und gut. Sie gehören definitiv in die 3. Liga.
Wie beurteilst du die aktuelle sportliche Situation von Erfurt und Chemnitz. In beiden Vereinen warst du aktiv. Blutet einem da nicht das Herz, wenn man die Entwicklung sieht?
Das ist schon schade. Ich hatte in beiden Vereinen einen tolle Zeit. Gerade in Chemnitz mit dem Aufstieg. Ich kann die Situation schwer einschätzen, finde es aber schon grob fahrlässig, wenn man sich so verkalkuliert. Aber vielleicht bedeutet dieser Neuanfang, der leider zu Lasten einiger anderer Regionalligisten geht, auch etwas Gutes. Trotzdem ist es sehr bedenklich, was dort vorgefallen ist.
Fußballspielen oder Leben retten? Aktuell ist die Stammzellenspende ein großes Thema. Auch im Fußball. Zuletzt setzten bzw. setzen Lennart Thy (VVV-Venlo), Manfred Starke (CZ Jena) und Annalena Breitenbach (USV Jena) aus, um als potenzieller Stammzellenspender Leben zu retten. Zuerst steht die Typisierung – käme das für dich auch in Frage?
Ich finde es eine super gute und wichtige Sache. Ich kann vor den Spielern nur den Hut ziehen. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich noch nicht einmal Blut gespendet habe – das muss ich mal in Angriff nehmen, um etwas Gutes zu tun.
Du wohnst und lebst in Erfurt. Pendelst täglich nach Nordhausen. Was macht für dich die Stadt Erfurt aus?
Schon allein die Größe – die Stadt ist weder zu klein noch zu groß. Sie ist optimal für uns, ein schönes Leben zu führen. Die Menschen sind nett und wir fühlen uns wohl. Kulturell hat die Stadt einiges zu bieten. Wenn wir Zeit und Lust haben, schauen wir uns bspw. die Domfestspiele an. Es gibt ein vielfältiges Programm. Für unsere Hündin Maxi ist es ebenso optimal mit dem Steigerwald vor der Haustür. Die Stadt bietet für alle etwas und wir wollen noch etwas länger bleiben.
Also hast du deine Zweitheimat gefunden?
Stand jetzt – schon. Es gibt auch andere schöne Städte, keine Frage. Chemnitz hat uns damals ebenfalls auf seine Art und Weise gefallen. Aber mit dem fortlaufenden Alter sollte man zu schätzen wissen, was man hat. Zumal sich die Prioritäten ändern. Gerade bei mir wird es mit dem Fußball nicht mehr allzu lange gehen. Da muss man schon über den Tellerrand hinausschauen und hat in Erfurt ein, zwei Möglichkeiten nach dem Fußball Fuß zu fassen.
Hast du schon etwas im Auge?
Nicht direkt, vor allem nichts Spruchreifes. Es gibt aber ein, zwei Sachen, die mir im Kopf umherschwirren. Noch bin ich im Fußball aktiv, das andere ist Zukunft und noch weit weg.