Florian Esdorf
Eine blau-weiße Wacker-Fahne flattert laut im böigen Wind. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, im hohen Norden doch sehr sonderbar. Am Eingang zur Halbinsel Fischland-Darß-Zingst liegt Dierhagen, rund 1.600 Einwohner zählt das Ostseebad. Irgendwo, in einem der Gärten weht die Fahne des Fußball-Regionalligisten FSV Wacker 90 Nordhausen. In der ländlich geprägten Idylle wohl kaum zu übersehen. Sie gehört Frank Esdorf, dem Papa von Florian, der seit anderthalb Jahren für den ambitionierten Vierteligisten aufläuft. “Mein Vater hat sich zu Hause einen Fahnenmast gebaut und bestellt sich immer die Fahne des Vereins, bei dem ich gerade spiele. Wenn er daheim ist, dann hisst er die Fahne”, erzählt der 23-Jährige.
Aberglaube und Rituale gehören zum Fußball dazu. Nicht anders ergeht es Frank Esdorf, der so sagt sein Sohn, nach jeder Niederlage von Wacker die Fahne am nächsten Wochenende nicht hochzog sondern wartete, bis Wacker wieder gewonnen hatte. So häufig kam das mit dem Verlieren in der ersten Halbserie nicht vor, vier Mal hatte Wacker das Nachsehen. Die blau-weiße Fahne flatterte also ziemlich oft im böigen Wind. Wie oft sie in der Rückrunde am Mast hängen wird? Am liebsten natürlich an allen Spieltagen. Für den Fünftplatzierten der Liga soll Anfang Februar die große Aufholjagd beginnen. Zum anvisierten zweiten Tabellenplatz trennt das Team von Neu-Trainer Heiko Scholz momentan sechs Zähler. “Das ist machbar. Wir haben die Qualität in der Mannschaft, um die Punkte aufzuholen”, gibt sich Esdorf optimistisch.
Der Titel scheint vergeben: Chemnitz ist der Liga enteilt. Noch befindet sich der Drittliga-Absteiger im Insolvenzverfahren, sportliche Zukunft offen. “Man weiß nicht, was mit Chemnitz noch passiert. Wir müssen Zweiter werden und da sein, falls was passiert. Erreichen wir unser Ziel, müssen wir abwarten”, sagt Esdorf, der noch ein anderes Ziel vor Augen hat. Mit dem Team wird der Einzug ins Pokalfinale angestrebt. Das Traumlos für das Finale wäre sicherlich Drittligist Jena, wenn es nicht schon im Halbfinale dem Wacker-Team zugelost wird. “Sollten wir ins Finale vorstoßen, dann soll der Tag mit dem Pokalsieg gekrönt werden. Das wäre überragend”, blickt Esdorf voraus.
Noch sind dies alles Träumereien. Das Heute und Jetzt bringt ordentlich Muskelkater. Zwei Trainingseinheiten täglich standen zuletzt auf dem Wochenplan. “Für die Aufholjagd in der Rückrunde knüppeln wir auf dem Platz und im Zelt ordentlich”, sagt Esdorf zur anstrengenden Vorbereitung. Um nach der vierwöchigen Winterpause nicht wieder bei Null anzufangen, hat Scholz seiner neuen Truppe gleich mal einen Laufplan mit an die Hand gegeben. “Das Programm mit Intervallläufen, Stabi-Programm und Kraftübungen war schon nicht ohne. Aber das gehört zur Vorbereitung dazu”, sagt Esdorf, der wie seine Mitspieler den Plan gewissenhaft abspulte.
Die vierwöchige Auszeit vom Fußball verbrachte der Dierhäger in der Heimat, er feierte Weihnachten ganz entspannt in Familie und besuchte Freunde. “In der Saison ist dafür kaum Zeit. Jetzt bot sich die Möglichkeit, um das alles nachzuholen.” Mit vier Freunden aus Rostock ging es für vier Tage auf die Insel, um im Ally Pally zu feiern. Von der eigentlichen Dart-WM bekam das Quintett nur wenig mit. “Wir wollten schon immer mal ins Ally Pally nach London. Wir kannten es bisher nur aus dem Fernsehen. Die Stimmung ist extrem, man achtet kaum auf die Spieler und feiert einfach nur”, beschreibt Esdorf das Mekka der Dart-Fans. Für ein bisschen Sightseeing blieb auch noch Zeit.
Vielleicht war diese Reise für ihn auch eine kleine Belohnung. Die Zahlen lügen nicht. Insgesamt 2.130 Minuten stand der Innenverteidiger in der ersten Saisonhälfte auf dem Platz. Umgerechnet sind es 35,5 Stunden oder fast anderthalb Tage. Der 1,90 Meter Hüne avancierte zum Dauerbrenner in der Wacker-Abwehr und verpasste keine Minute für die Blau-Weißen. “Während der Saison achtet man weniger darauf, ob man in der Liga und Pokal durchspielt. Erst Zuhause, wo ich etwas zur Ruhe gekommen bin, habe ich mir die Statistik mal angesehen”, sagt Esdorf, den alle nur unter “Hexe” kennen. In der C-Jugend bei Hansa Rostock bekam er von einem Mitspieler auf Grund seiner Nase den Spitznamen verpasst, seitdem “verfolgt er mich. Ich sehe ihn keinesfalls als Beleidigung”. Während neben ihm die Partner (Jerome Propheter, Maurice Pluntke, Felix Müller) wechselten, blieb er die einzige Konstante und zeigte sich dazu noch torgefährlich. Zwei Treffer stehen bereits auf der Habenseite. “Von mir aus könnte in der Rückrunde noch das eine oder andere Tor hinzukommen.” Und vielleicht jubelt er dann noch mal so schön, wie bei den anderen beiden. Seinen Emotionen ließ er stets freien Lauf.
Sonst zeigt er sich nämlich eher von seiner ruhigen Seite. Beschreibt sich selbst als zurückhaltender Typ. Schon oft kamen Trainer auf ihn zu, er solle mehr aus sich rauskommen. “Ich bin halt so und irgendwas kann daran nicht schlecht sein.” Er zahlte das Vertrauen stets mit Leistung zurück. Bewusst ist er sich auch darüber, dass diese ruhige Art auch mal nicht so gut sein kann. “Du musst auch mal ein Arschloch sein.” Dass er Verantwortung auf dem Feld übernehmen kann, hat er schon oft bewiesen, trug erst kürzlich beim Auftakt-Test in Sangerhausen die Kapitänsbinde. “Ich bin schon in der Lage meine Vorder- und Nebenleute zu lotsen.” Und das tut er stets souverän in seiner ruhigen und besonnenen Art. Nur selten kommt es zu Situationen, wo er mal richtig explodiert. Wenn doch, dann hat es mit eigenen Schmerzen oder unnötigen Verletzungen bei einem Foulspiel des Gegners an einem Mitspieler zu tun.
Esdorf ist eine feste Größe im Wacker-Team. Sein Vertrag läuft im Sommer aus. Ein Verbleib in der Rolandstadt ist für ihn durchaus denkbar: “Ich könnte mir absolut vorstellen, bei Wacker zu bleiben. Ich bin relativ zufrieden. Ich habe in der Hinrunde alles gespielt, kam in der Vorsaison auf viele Einsätze. Ich kann mich nicht beklagen. Ich fühle mich relativ wohl hier.” Noch hat es keine Gespräche mit ihm gegeben. “Warten wir mal ab, was andere Vereine sagen. Vielleicht ist auch ein Angebot aus der 3. Liga dabei”, meint Esdorf, der natürlich nach höherem strebt. Bisher stimmt für ihn aber alles. Gerade auch mit dem Anreiz, dass bald ein neues Stadion im Albert-Kuntz-Sportpark gebaut wird. Mögen diese Faktoren mitentscheidend sein, dass bei Familie Esdorf im rund 500 Kilometer entfernten Dierhagen noch lange die blau-weiße Wacker-Fahne im Garten flattern wird.
Beitrag Florian Esdorf // Autorin: Sandra Arm